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AutorenbildChristoph Heilig

Übers Übersetzer-Ersetzen



Obwohl ich mich schon seit einigen Jahren mit großen Sprachmodellen in meiner Forschung beschäftige, wurde auch ich von ChatGPT überrascht. Auf meiner Festplatte hüte ich die Aufnahme eines Vortrags, in welchem ich nur wenige Monate vor der Veröffentlichung des Chatbots prognostizierte, dass wir ein solch leistungsstarkes Sprachmodell erst in einigen Jahren bekommen dürften. Ich lag, ganz offensichtlich, falsch. Seit November 2023 war mir aber dann klar, dass uns einige Umwälzungen schon sehr viel früher bevorstehen würden, als ich das gedacht hatte. Seit dem spreche und schreibe ich viel darüber, was „KI“ für die Universität aber auch für die Kultur generell – gerade den Literaturbetrieb – bedeutet.


Den öffentlichen Diskurs zu dieser Thematik fand ich bisher recht frustrierend. Es ging damit los, dass Verantwortliche in Politik, Bildung und Kultur das Thema lange verschliefen, obwohl die Relevanz offensichtlich war. Ein Mitglied des Beirats Digitalstrategie Deutschland (!) meinte ernsthaft im März 2023 noch, man könne sich über ChatGPT lustig machen, weil es nach dem eigenen, anscheinend sehr wichtigen, Lebenslauf gefragt, halluzinierte.


Zeitgleich wurden Stimmen lauter, die völlig überzogene Behauptungen anstellten, was die Leistungsfähigkeit „der KI“ anging – mit der Implikation verbunden, man könne sich zum kompletten Buch durchprompten, wenn man nur ein Seminar bei ihnen belegte. (Keine Rede davon, dass damals das Kontextfenster der verfügbaren Sprachmodelle noch so klein war, dass diese am Ende des ersten Kapitels gar nicht mehr auf dem Schirm gehabt hätten, was am Anfang geschehen war.)


Diese so diametral einander gegenüberstehenden, gleichsam unqualifizierten, Einschätzungen führten dann im Laufe des Jahres 2023 dazu, dass ein Bedürfnis für eine offene Debatte entstand, gerade im Literaturbetrieb. Leider führte diese gefühlte Situation der Unsicherheit dann gerade dazu, dass Stimmen (z.B. im Börsenblatt), die unsere Unkenntnis betonten und LLMs als mysteriöse „black box“ darstellten, als besonders ausgewogen empfunden wurden – obwohl auch sie wenig mit dem Forschungsstand zu tun hatten. Natürlich können wir viele Entwicklungen noch nicht absehen, manche Trends zeichnen sich aber durchaus schon sehr lange und sehr deutlich ab. Und einige davon betreffen den Literaturbetrieb sehr direkt.


Vor diesem Hintergrund freut es mich, dass wir jetzt endlich eine substanziellere Diskussion zu zumindest einem Teilaspekt dessen haben, was große Sprachmodelle an Implikationen für den Buchmarkt mit sich bringen werden. Zu verdanken haben wir das der Übersetzerin Janine Malz, die eine Anfrage des Verlags Bastei Lübbe und ihre Antwort darauf öffentlich machte. Ihr war angeboten worden, für einen Bruchteil des gewöhnlichen Übersetzungs-Honorars eine KI-Übersetzung zu redigieren. Janine Malz‘ Antwort, in der sie das Ansinnen ablehnt, zeichnet sich durch einen sehr sachlichen Ton aus und dadurch, dass sie sich die Mühe macht, darzulegen, was aus ihrer Sicht als Übersetzerin so problematisch an einem solchen Vorgehen ist. Wer sich für das Thema interessiert, sollte unbedingt diese Argumentation selbst lesen.


Emily Modick und Florian Kessler haben nun dankenswerterweise die Situation der Übersetzer*innen als Thema ihres Podcasts „Hanser Rauschen“ aufgenommen und lassen dort die Übersetzerin Lisa Mensing sehr ausführlich zu Wort kommen. Auch diese Episode kann ich nur empfehlen, gerade weil hier nicht vorschnell mit oberflächlichen Argumenten geschossen wird, sondern erst einmal der Arbeitsprozess des Übersetzens selbst ausführlich dargestellt wird.

In diesem Beitrag möchte ich nun aber einen Teil der Argumentation von Seiten der Übersetzer*innen aufgreifen, den ich sehr problematisch finden, der sich nämlich auf die angeblich minderwertige Qualität von KI-Übersetzungen beruft.


Bevor ich erkläre, weshalb ich einen solchen Schachzug für strategisch fatal halte, möchte ich kurz aber ganz offenlegen, welcher Seite meine Sympathien in dieser Debatte gelten. Ich übersetze selbst zwar keine belletristische Gegenwartsliteratur, habe aber schon mehrere Fachbücher ins Englische (mit)übersetzt. Die Situation der Übersetzer*innen ist im wissenschaftlichen Bereich freilich etwas anders. Die literarische Qualität der Übersetzung ist auf den ersten Blick nicht so wichtig. Allerdings: So etwas wie objektive Argumentationen, ganz ohne rhetorische Dimension, gibt es bei genauerem Hinsehen nicht, erst recht nicht in den Geisteswissenschaften. Literarizität ist also durchaus ein ganz wichtiger Gesichtspunkt! Auch wenn ich für meine eigentliche Forschung schon einige Preise gewinnen konnte, bin ich zumindest ausgesprochen stolz darauf, einmal (völlig chancenlos!) für den „Helen-und-Kurt-Wolff-Übersetzerpreis“ nominiert gewesen zu sein.


Ich kann die Schwierigkeiten des literarischen Übersetzens also zumindest erahnen. Dazu kommen ganz eigene zusätzliche Herausforderungen, die sich einem beim Übersetzen von wissenschaftlichen Werken stellen: So muss man beispielsweise in meinem Fachbereich die zitierte Sekundärliteratur und die angeführten antiken Quellen in diversen modernen und antiken Sprachen kennen, um den Fachbeitrag sinnvoll übersetzen zu können. Und ein richtiges Übersetzungs-Honorar gibt es meist gar nicht. Man bekommt nicht selten nur ein (oft von Kolleg*innen auch noch als minderwertig eingeschätztes) akademisches Kapital, einen Eintrag auf dem Lebenslauf. Entsprechend wichtig ist die Forderung „name the translator“ hier auch aus Karriere-Sicht. Ich habe mich in der Vergangenheit etwa schon sehr über einen Fachverlag geärgert, der mich nach der sehr anspruchsvollen Übersetzung eines Textes aus dem 19. Jahrhundert (für ein Honorar im niedrigen dreistelligen Bereich) ganz bewusst um die Nennung auf dem Cover betrogen hat. Also: ich bin emotional voll dabei!


Zudem spielt das Übersetzen für mich auch als Gegenstand der Forschung eine wichtige Rolle. Die Forschungsgruppe, die ich leite, ist mit dem IDK Philologie assoziiert – und das Übersetzen ist eine der grundlegendsten philologischen Tätigkeiten. Wie man antike literarische Texte (gerade die so wirkmächtigen Texte des Neuen Testaments) adäquat in moderne Sprachen übersetzt, ist daher eine für meine eigene Forschung ganz wichtige Fragestellung und ich bin entsprechend mit der übersetzungstheoretischen Fachliteratur vertraut. Auch weiß ich vom Übersetzen antiker Texte her, wie viel Interpretation und Recherche Übersetzung oft benötigt. Ja, man traut es sich kaum Außenstehenden zu sagen, aber ich habe eine ganze Monographie zu einem einzigen (!) Wort im Neuen Testament schreiben müssen, um herauszufinden, ob sich der Apostel Paulus in einer Metapher als siegreichen General oder als schmählich durch die Gassen gezogenen Kriegsgefangenen darstellt!


Ich freue mich vor diesem Hintergrund daher ganz besonders, dass nicht nur generell etwas mehr über „KI und Literatur“ nachgedacht und gesprochen wird, sondern dass dies ausgerechnet am Beispiel des Übersetzens geschieht, welches mir persönlich sehr am Herzen liegt.

Nach dieser langen Vorrede will ich jetzt möglichst prägnant umreißen, warum die Übersetzer*innen mit ihrer Ablehnung maschinellen Übersetzens in meinen Augen durchaus recht haben, warum man das meiner Meinung nach aber keinesfalls mit der angeblich mangelhaften Leistungsfähigkeit von großen Sprachmodellen begründen sollte.


Fangen wir mit dem letzten Aspekt an. Stark vereinfacht: Ich denke, dass große Sprachmodelle im Vergleich mit menschlichen Übersetzer*innen bei Weitem nicht so schlecht abschneiden, wie momentan von den KI-Kritiker*innen insinuiert wird. Auf Fehler der KI zu verweisen, wie das auch Janine Malz tut, finde ich problematisch. Denn wer selbst schon übersetzt oder Übersetzungen bereits lektoriert hat, weiß, wie viele Fehler menschliche Übersetzer*innen machen. Ich denke, das ist auch eine der Anfragen, die Florian Kessler in der besagten Podcast-Folge umzutreiben scheint. Zumindest höre ich das so heraus. Nun ist es sehr schwierig, Übersetzungsfehler zu quantifizieren – weil es eben nicht die eine „richtige“ Übersetzung gibt. Aber sehr viel von dem, was ich in der Diskussion zu Janine Malz‘ LinkedIn-Post von Verteidiger*innen des menschlichen Übersetzens lese (zum Mangel an Kreativität der LLMs) ist so nicht richtig. (Darauf stürzen sich dort dann die Tech-Bros, die schulterzuckend – wenn nicht sogar schadenfroh - meinen, menschliche Übersetzer*innen seien jetzt halt überflüssig und sollten sich nicht so anstellen. Dabei übersehen sie, dass sie wiederum mindestens ebenso wenig vom Übersetzen verstehen wie die Gegenseite von Transformern …)


Aus eh schon bestehenden existenziellen Nöten (wegen ohnehin schon zu niedrigerer Honorare) jetzt, wegen KI, in eine ausgewachsene Existenzpanik zu verfallen, bei der man mit der angeblich überlegenen Qualität der eigenen Arbeit argumentiert, ist ultimativ ein Schuss ins eigene Bein. Man kreiert damit ein „translator of the gaps“-Argument, das – ich spreche hier als Theologe, der zu dem Thema bereits publiziert hat – schon im Hinblick auf Gott nicht funktioniert hat. Beschränkt man Gott nur auf die Bereiche, die naturwissenschaftlich (noch!) nicht beschreibbar sind, zwängt man ihn in eine Lücke und kann zuschauen, wie er immer kleiner wird. Dasselbe gilt für Übersetzer*innen: Wer die eigene Existenz damit rechtfertigt, „besser“ als ein Sprachmodell zu übersetzen, wird obsolet, wenn dies nicht mehr der Fall sein sollte. Und das dürfte meiner Meinung nach bereits sehr bald so sein. Freilich: LLMs haben Probleme, die menschliche Übersetzer*innen nicht im selben Maße haben (z.B. mit idiomatischen Ausdrücken), aber in nahezu all diesen Bereichen können wir rapide Fortschritte (vgl. z.B. hier) beobachten. Der Optimismus unter Übersetzer*innen was die eigene Überlegenheit angeht, scheint mir von der Forschungslage her nicht gedeckt.


Dass große Sprachmodelle also Produkte generieren können, die mit menschlichen Texten vergleichbar sind (oder meinetwegen: es bald sein werden), steht in meinen Augen außer Frage. Das Entscheidende ist aber: Sie bringen nicht dieselben Produkte hervor. Da ist die Situation genau gleich wie im Hinblick auf Schriftsteller*innen. Im Hinblick auf Letztere kann man natürlich auf Genres verweisen, die großen Sprachmodellen momentan noch Schwierigkeiten bereiten. Aber das Entscheidende ist doch: Sie können (aus wahrscheinlichkeitstheoretischen Gründen) niemals exakt den Text hervorbringen, den der menschliche Autor verfasst und dem Verlag angeboten hätte. Als Produkt menschlichen Selbstausdrucks bleibt ein solcher Text einzigartig und von der Entwicklung rund um künstliche Intelligenz unangetastet. Nur wenn man sich nicht für diesen Selbstausdruck an und für sich als Kunst interessiert, kommen die Produkte von generativen KIs überhaupt als möglicher Verkaufsgegenstand in Frage. Dasselbe gilt für Übersetzungen: Übersetzen hat eben nichts damit zu tun, dass für ein Wort in der Ursprungssprache genau eine Glosse in der Zielsprache bestünde, die man mechanisch auswählen könnte. Jede Übersetzung ist notwendigerweise einzigartig. Entsprechend kann auch keine KI der Welt genau die Übersetzung anfertigen, welche ein bestimmter Übersetzer/eine bestimmte Übersetzerin anfertigen würde. Und genau auf diese Schöpfung als einzigartige kreative Leistung dürfen sich Übersetzer*innen in meinen Augen – ganz analog zu Autor*innen – berufen.


Man muss das Pferd daher in meinen Augen von der anderen Seite her aufzäumen. Nicht: KI ablehnen, weil sie angeblich schlechter ist. Vielmehr: Ausgehend davon, dass nur Menschen übersetzen sollten, muss man mehr Zeit und Geld einfordern, um sicherzustellen, dass die menschlichen Übersetzungen auch in Zukunft mit maschinellen Produkten mithalten können. Es geht darum, dass menschliche Übersetzer*innen viel mehr Ressourcen benötigen, damit die einzig in Frage kommenden Akteure für die Übersetzung das haben, was sie brauchen, um Texte zu produzieren, die Qualitätsstandard erfüllen, wie sie angesichts des durch KI Machbaren immer weiter steigen werden.


Diese Grundvoraussetzung, dass sowieso nur menschliche Übersetzer*innen in Frage kommen, muss man natürlich erstmal begründen. Lisa Mensing macht das in meinen Augen in der besagten Podcast-Folge sehr gut. Denn sie beginnt eben nicht mit den Fehlern der KI-Alternative, sondern damit, dass sie das Übersetzen als kreative Tätigkeit charakterisiert. Die Forderung „name the translator“ verankert sie auch ganz explizit in diesem Verständnis des Übersetzens. Das ist in meinen Augen goldrichtig. Denn dadurch verschiebt sich der Fokus von der Frage nach der bloßen Machbarkeit hin zu einer ethischen Frage: Sollte man menschliche Übersetzer*innen durch große Sprachmodelle ersetzen, wenn es denn möglich wäre? Wir können immerhin in einer großen Bandbreite kultureller Tätigkeiten menschliche Akteure ersetzen – und tun es doch nur sehr bedingt. Aus gutem Grund, weil wir damit immer auch die Frage aufwerfen würden, ob der Mensch als kulturelles Wesen insgesamt eine Existenzberechtigung hat. Wer sich gegen die Notwendigkeit menschlicher Übersetzer*innen ausspricht, bringt damit zumindest auch menschliche Autor*innen als lediglich optional ins Spiel. Und das dürfte wiederum kaum im Eigeninteresse der Verlage sein.


Übersetzer*innen können hier durchaus selbstbewusst den Verlagen gegenübertreten. In den letzten Jahren gab es nämlich durchaus einige Solidarität mit diesem Berufsstand. Die Forderung „name the translator“ ist durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen. Kaum jemand in der Buchbranche stellt sich heute noch hin und bestreitet, dass das Übersetzen eine schöpferische Tätigkeit sei. Wenn das nicht als Lippenbekenntnis offenbar werden soll, müssten Verlage konsequenterweise exklusiv auf menschliche Übersetzer*innen setzen. Denn ansonsten geben sie implizit zu, dass auch ihre Autor*innen ersetzbar sind, sobald KI ganze Romane schreiben kann (was grundsätzlich – mit einigen Genre-Vorbehalten, bereits der Fall ist). Ein Verlag, der trotzdem an KI-Übersetzungen festhält, gibt folglich im Grunde zu, dass er sich als Verkäufer „intelligibler Texturen“ versteht und damit Gewinn machen will – und mit der Vermittlung von Texten (die per Definition Intention voraussetzen), mit Literatur, mit Kunst nichts mehr am Hut hat.


Verlage sollten also sehr gut überlegen, ob sie diesen so verlockenden Schritt der KI-Übersetzung gehen wollen. Warum er so attraktiv ist, liegt freilich auf der Hand. Angesichts rückläufiger Verkaufszahlen ist es durchaus verständlich, dass man sich Gedanken macht, Produktionsschritte zu automatisieren. Und vom Rezitieren von Mythen am Lagerfeuer in der Vorzeit bis hin zum gegenwärtigen Buch hat sich ja auch zugegebenermaßen viel getan, was den Prozess des Geschichtenerzählens angeht. Schreiber*innen und Buchbinder*innen mussten auch bereits daran glauben. Warum jetzt also nicht auch Übersetzer*innen? Und in der Tat könnten Verlage so argumentieren, indem sie also das Übersetzen als bloßes Handwerk charakterisieren. Ob eine solche Argumentation überzeugt, sei dahingestellt. Sie würde aber zumindest den Rückgriff auf KI im Übersetzungsprozess legitimieren.


Wenn Florian Kessler in der verlinkten Podcast-Folge von unterschiedlicher Schöpfungshöhe spricht, die er bei Übersetzungen wahrnimmt, greift er damit glaube ich genau diese weitverbreitete Intuition auf - und ihm ist es hoch anzurechnen, dass er sie ehrlich ausspricht. (Ich selbst treffe für mich eine ähnlich pragmatische Entscheidung, wenn ich für Blogposts Midjourney-Bilder verwende.) Mir scheint, dass genau hier der Kern der Debatte liegt, den Übersetzer*innen und Verlage führten sollten, um sich zu verständigen. Man kann dem Übersetzen (entweder generell oder in speziellen Fällen) den Rang der kreativen Tätigkeit, des künstlerischen Schaffens, absprechen. Dann muss man diese Einschätzung auch offen kommunizieren – hat dafür dann aber auch die Freiheit, hier menschliche Übersetzer*innen zu ersetzen, ohne die Autor*innen des Hauses und sich selbst als Kulturbetrieb optional zu machen. Die Nennung von Übersetzer*innen auf dem Cover ist dann aber eben auch nicht mehr als eine gönnerhafte Geste, kein Bekenntnis mehr zum kreativen Charakter des Übersetzens. Sich Letzteren auf die Fahne zu schreiben und gleichzeitig an ausschließlich menschlichen Schriftsteller*innen festhalten und Kultur-Vermittler sein zu wollen, das geht auf jeden Fall nicht.



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