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Fake Fiction


31. März 2025, automatisiert generiert mit einem Computer-Programm, welches Claude 3.7 verwendet

 

Der Bildschirm warf ein kaltes Licht auf Thomas Beckers Gesicht, das in diesem Moment von einer Mischung aus Triumph und Erschöpfung gezeichnet war. Sein Büro – großspurig als "Hauptsitz von Becker & Partner" auf dem Türschild bezeichnet – war in Wirklichkeit ein umfunktionierter Heizungskeller, den er mit antiquarischen Bücherregalen und einem Schreibtisch aus dem Schwedenmöbelhaus aufzuwerten versuchte.

"Generiere letzte Überarbeitung... Synonyme für 'Melancholie' intensivieren... Metaphern im dritten Kapitel verdichten..." Thomas tippte hektisch die finalen Anweisungen, während die Algorithmen gehorsam den Text umformten. "Und schließe mit einem ambivalenten Ende, das Raum für eine Fortsetzung lässt."

Das Dokument auf seinem Bildschirm aktualisierte sich ein letztes Mal. "Echos der Stille" von Julian Mayer. Ein Autor, der nicht existierte – zumindest nicht aus Fleisch und Blut.

Thomas lehnte sich zurück, sein Stuhl protestierte quietschend. "Perfekt." Er scrollte durch die letzten Seiten und nickte anerkennend. Die KI hatte ganze Arbeit geleistet: Sätze von schmerzhafter Schönheit, durchdachte Charakterbögen, subtile literarische Anspielungen – alles da, wo es sein sollte.

"Nicht einmal Helene Kraft wird hier etwas aussetzen können," murmelte er und strich über den Ausdruck, als wäre es ein kostbares Artefakt.

Die Tür öffnete sich mit einem Knarren, das zu dem renovierungsbedürftigen Gebäude passte.

"Thomas, die Druckerei braucht eine Entscheidung zur Papierqualität. Und der Grafiker wartet auf deine Rückmeldung zum Cover." Mara Schmidt balancierte einen Stapel Unterlagen und zwei Kaffeebecher. Ihre praktische Kurzhaarfrisur und der abgetragene Blazer standen in scharfem Kontrast zu Thomas' Designerhemd und dem sorgfältig gestutzten Dreitagebart.

"Mara! Es ist vollbracht!" Thomas sprang auf und schwenkte den Ausdruck wie eine Trophäe. "Komm, lies das Ende!"

Mara stellte seufzend die Becher ab. "Thomas, wir haben drei Wochen bis zur Buchmesse. Der Messestand ist noch nicht bezahlt, die Pressemitteilungen nicht raus, und du hast immer noch keinen plausiblen Grund, warum dieser angebliche Literatur-Messias nicht persönlich erscheinen kann."

"Details, Mara, Details." Thomas wedelte abwehrend mit der Hand. "Ich habe gerade Literaturgeschichte geschrieben – oder schreiben lassen, was noch brillanter ist." Er tippte auf den Ausdruck. "Julian Mayer wird die Sensation der Messe. Ein scheuer Ausnahmeautor, der die Öffentlichkeit meidet. Mysteriös, tiefgründig, unnahbar."

"Und nicht existent," ergänzte Mara trocken.

"Ein Detail unter vielen." Thomas projizierte mit ausladender Geste eine imaginäre Schlagzeile in den Raum. "Newcomer erschüttert Literaturbetrieb: 'Echos der Stille' revolutioniert das zeitgenössische Erzählen!"

Mara nahm den Ausdruck und überflog einige Seiten. Ihre Augenbraue hob sich unwillkürlich. "Das ist... tatsächlich nicht schlecht."

"Nicht schlecht?" Thomas lachte. "Es ist brillant! Die KI hat jedes Erfolgsrezept der letzten Literaturpreisträger analysiert und eine perfekte Synthese erschaffen. Genug Tiefgang für die Kritiker, genug Zugänglichkeit für den Massenmarkt."

"Und wenn jemand Fragen stellt? Wenn jemand mit diesem Julian Mayer sprechen will?"

Thomas griff nach seinem Kaffee und nahm einen triumphierenden Schluck. "Dann erzählen wir von seiner traumatischen Vergangenheit, seiner Schreibblockade, seiner pathologischen Angst vor öffentlichen Auftritten. Die Leute lieben kaputte Künstler."

Mara setzte sich auf die Kante des Schreibtisches, ihre Miene irgendwo zwischen Resignation und widerwilliger Bewunderung. "Du weißt, dass das Betrug ist?"

"Ich nenne es Innovation." Thomas beugte sich vor, seine Augen funkelten. "Mara, dieser Verlag steht kurz vor dem Aus. Fünf Jahre und was haben wir vorzuweisen? Kochbücher und mittelmäßige Krimis. Dies ist unsere Chance!"

"Und wenn es auffliegt?"

"Wird es nicht." Thomas tippte auf seinen Computer. "Die KI ist so programmiert, dass sie einen unverwechselbaren, aber nicht analysierbaren Stil erzeugt. Ich habe jeden Test durchlaufen lassen – die Programme zur KI-Erkennung schlagen nicht an."

Er stand auf und legte die Hände auf Maras Schultern. "Die Literaturwelt wird uns zu Füßen liegen, und niemand wird je erfahren, dass unser Wunderkind aus Algorithmen besteht."

Mara schüttelte den Kopf, aber ein widerwilliges Lächeln spielte um ihre Lippen. "Du bist wahnsinnig, Thomas Becker."

"Wahnsinnig genug, um zu gewinnen." Er nahm den Stapel Unterlagen. "Feinstes Premiumpapier für den Druck. Und sag dem Grafiker, ich will etwas Minimalistisches. Schwarz, mit einem kaum sichtbaren Echo in Grau. Geheimnisvoll, wie unser Autor."

Die Leipziger Buchmesse glich einem Bienenstock auf Steroiden. Menschenmassen schoben sich durch die überhitzten Hallen, bewaffnet mit Stofftaschen und Programmheften, während Verlage um ihre Aufmerksamkeit buhlten wie verzweifelte Straßenverkäufer. Mittendrin: der Stand von Becker & Partner – ein klägliches Rechteck aus Pressspan und Hoffnung.

Thomas Becker zupfte zum hundertsten Mal an der Buchpyramide, die den Roman "Echos der Stille" präsentierte. Das minimalistische Cover – schwarz mit einem kaum sichtbaren grauen Echo – hob sich wohltuend ab von den schreiend bunten Neuerscheinungen der Konkurrenz.

"Sieht sie irgendwo aus?" Thomas' Stimme überschlug sich fast.

Mara, die Besucherbändchen verteilte, verdrehte die Augen. "Entspann dich. Helene Kraft hält sich für die Hohepriesterin der Literatur. Sie wird ihren großen Auftritt nicht verpassen."

"Wenn sie nicht kommt, war alles umsonst." Thomas wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die billige Standbeleuchtung verwandelte ihn in ein Ausstellungsstück für übermäßige Schweißproduktion.

"Sie kommt." Maras Gesicht erstarrte. "Da ist sie."

Thomas folgte ihrem Blick und erblickte Helene Kraft, die sich mit der Unaufhaltsamkeit eines Panzerkreuzers durch die Menge bewegte. Ihr silbergraues Haar war zu einem strengen Knoten gebunden, ihre randlose Brille blitzte wie ein Zielfernrohr. Hinter ihr waberte eine Wolke aus teurem Parfüm und Ehrfurcht.

"Herr Becker." Ihre Stimme klang wie ein Gerichtsbeschluss. "Ich habe wenig Zeit und noch weniger Geduld für mittelmäßige Unterhaltung."

Thomas verbeugte sich beinahe. "Frau Kraft, welche Ehre. Darf ich Ihnen unser Highlight vorstellen?" Seine Hände zitterten, als er ihr ein Exemplar überreichte. "Julian Mayers Debüt. Ein... ein außergewöhnliches Werk."

Helene Kraft nahm das Buch mit der Miene einer Bombenentschärferin entgegen. "Julian Mayer? Nie gehört."

"Ein Newcomer. Sehr zurückgezogen. Ein... ein wahres Genie."

Sie schnaubte. "Das entscheide immer noch ich."

Zu Thomas' Überraschung schlug sie das Buch auf und begann zu lesen – mitten im Messetrubel, als hätte jemand eine Blase der Stille um sie herum errichtet. Eine Minute verging. Dann zwei. Ihre Augenbraue hob sich minimal.

"Ich nehme es mit," verkündete sie schließlich und wandte sich zum Gehen.

"Natürlich, sehr gerne, eine Ehre..." Thomas' Worte verhallten ungehört.

Die nächsten Stunden verbrachte er in einem Zustand nervöser Agonie, während er mechanisch Flyer verteilte und belanglose Gespräche führte. Sein Blick wanderte alle dreißig Sekunden zur Uhr.

"Sie wird es hassen," flüsterte er Mara zu. "Sie wird es in der Luft zerreißen. Wir sind erledigt."

"Sie hat es mitgenommen. Das ist mehr, als die meisten hier erreichen."

Dann, kurz nach dem Mittagessen, tauchte Helene Kraft wieder auf. Ihr Gesicht trug denselben Ausdruck wie immer – als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen und fände das Erlebnis nicht unangenehm genug, um aufzuhören.

"Herr Becker."

Thomas fuhr herum. "Frau Kraft! Ich... wir... haben Sie...?"

"Wo haben Sie ihn gefunden?" unterbrach sie ihn.

"Wen?"

"Diesen Mayer, natürlich." Sie wedelte mit dem Buch. "Ich habe die Hälfte gelesen. Es ist... bemerkenswert."

Thomas blinzelte. "Bemerkenswert?"

"Lassen Sie mich ausreden. Es ist die Entdeckung des Jahres." Die Worte kamen heraus, als würden sie ihr körperliche Schmerzen bereiten. "Ein brillantes Werk, das die Tiefen der menschlichen Seele auslotet. Die Sprachbilder, die narrative Struktur... außergewöhnlich."

Thomas klammerte sich an den Tisch, um nicht umzufallen. "Das... das freut mich zu hören."

"Es freut Sie?" Helene Kraft schnaubte. "Es sollte Sie in Ekstase versetzen. Ich werde es in meiner Kolumne besprechen. Positiv." Sie sprach das Wort aus, als wäre es ein exotisches Gewürz, das sie zum ersten Mal probierte.

Die Nachricht verbreitete sich mit der Geschwindigkeit einer viralen Katzenvideos. Innerhalb einer Stunde drängten sich Journalisten, Blogger und Literaturpodcaster um den Stand von Becker & Partner.

"Wann können wir den Autor treffen?"
"Hat Julian Mayer schon einen Vertrag für das nächste Buch?"
"Stimmt es, dass Helene Kraft Tränen in den Augen hatte?"

Thomas improvisierte, schwelgte in vagen Andeutungen und mysteriösen Halbwahrheiten.

"Julian ist ein sehr scheuer Mensch," erklärte er einer Reporterin vom Kultursender. "Nach einem... traumatischen Erlebnis lebt er zurückgezogen in einem kleinen Dorf im Schwarzwald. Keine Telefone, kein Internet."

"Wie kommunizieren Sie dann?"

Thomas lächelte geheimnisvoll. "Auf die altmodische Art. Briefe. Handgeschrieben."

"Und wie kam es zu diesem Debüt?"

"Ein glücklicher Zufall." Thomas' Erfindungsgabe lief auf Hochtouren. "Ein gemeinsamer Bekannter gab mir ein Manuskript, das Julian nie zur Veröffentlichung vorgesehen hatte. Ich war überwältigt von der Kraft seiner Worte und konnte ihn nach monatelangem Bitten überzeugen."

Die Journalistin notierte eifrig. "Ist er so jung, wie man munkelt?"

"Ein Naturtalent," wich Thomas aus. "Aber sein Alter möchte er privat halten."

Mit jeder Frage, mit jeder Antwort wuchs die Legende von Julian Mayer. Thomas erfand eine Kindheit in verschiedenen Ländern, ein Literaturstudium, das abgebrochen wurde, eine zerbrochene Liebe zu einer bekannten Musikerin – "Nein, ich kann ihren Namen nicht nennen, das wäre indiskret."

Als der Messetag sich dem Ende neigte, war "Echos der Stille" das Gesprächsthema der Buchmesse. Alle Exemplare waren vergriffen, mehrere Buchhandlungen hatten Großbestellungen aufgegeben.

Mara trat neben Thomas, der erschöpft, aber euphorisch auf einem Stuhl zusammengesunken war. "Gratuliere. Du hast es geschafft."

"Wir haben es geschafft," korrigierte er mit einem Strahlen.

"Du weißt, dass sie alle Julian Mayer interviewen wollen? Früher oder später wird jemand misstrauisch werden."

Thomas' Lächeln verblasste nicht. "Bis dahin haben wir längst die nächsten Schritte geplant. Vielleicht eine Videobotschaft? Mit Stimmenverzerrer und Schatteneffekt?"

"Du bist unverbesserlich."

"Ich bin ein Visionär." Er griff nach seinem Handy. "Ich muss die Druckerei anrufen. Wir brauchen Nachschub, sofort."

Als er sich umdrehte, sah er einen jungen Mann mit Brille und Praktikantenbändchen, der aufmerksam zuhörte. Der Junge lächelte und verschwand in der Menge.

Das Hinterzimmer des Messestandes war kaum mehr als ein Abstellraum, in dem ein wackeliger Klapptisch als provisorischer Arbeitsplatz diente. Felix Neumann tippte konzentriert auf der Tastatur, während er die Website von Becker & Partner mit einem dringend nötigen Update versah. Seit dem Vortag explodierte die Nachfrage nach Informationen über Julian Mayer und sein Debüt.

"Wenn die wüssten, dass ich hier mit WordPress-Vorlagen kämpfe, während wir angeblich den literarischen Messias entdeckt haben", murmelte er und schob seine Brille höher auf die Nase.

Ein Kaffeebecher kippte um, als er nach seinem Handy griff. Die braune Flüssigkeit schwappte gefährlich nah an Thomas' offenen Laptop. Felix rettete das Gerät mit einem beherzten Griff und wischte die Tastatur ab. Dabei erwachte der Bildschirm aus dem Standby-Modus.

"Passwortgeschützt. Natürlich." Er wollte den Laptop gerade wieder schließen, als ihm ein Post-it an der Seite des Bildschirms auffiel. Darauf in Thomas' krakeliger Handschrift: "JulianMayer2025!"

Felix starrte auf den Zettel. Dann auf die Passwortabfrage. Seine Finger schwebten kurz über der Tastatur.

"Nur um sicherzugehen, dass nichts beschädigt wurde", rechtfertigte er sich vor dem leeren Raum und gab das Passwort ein.

Der Desktop erschien – übersät mit Dateien und Ordnern. Ein Ordner stach heraus: "Julian Mayer – NICHT LÖSCHEN". Felix klickte ihn an.

Was sich öffnete, war eine Sammlung von Textdateien mit Titeln wie "KI-Prompt_Kapitel1_v3", "Stilanpassung_nach_Feedback", "Charaktertiefe_Iteration4" und "Finaler_Output_mit_Korrekturen".

"Heilige Scheiße", flüsterte Felix.

Er öffnete eine der Dateien und las:

```
Präzisiere den Schreibstil: Verwende mehr innere Monologe, um die Zerrissenheit des Protagonisten zu zeigen. Baue literarische Anspielungen auf Kafka und Camus ein. Vermeide Klischees bei der Beschreibung von Emotionen. Generiere 2500 Wörter für Kapitel 3.
```

Felix' Augen weiteten sich. Mit wachsender Faszination klickte er sich durch die Dateien – ein perfekt dokumentierter Prozess der KI-gestützten Romanproduktion.

"Also gibt es gar keinen Julian Mayer", murmelte er. "Der literarische Messias ist ein Algorithmus."

Ein Poltern aus dem Hauptbereich des Standes unterbrach seine Entdeckungstour. Felix schloss hastig die Dateien, sperrte den Laptop und trat durch den Vorhang in den öffentlichen Bereich.

Dort stand ein hochgewachsener Mann mit silbernem Haarkranz und Tweed-Jackett, umringt von einer kleinen Menschentraube. Seine Stimme hallte durch den Stand wie die eines Wanderpredigers.

"Die 'Authentische Feder' wird ein Bollwerk gegen die Maschinisierung der Literatur sein! Wir werden nicht zulassen, dass Algorithmen die Seele aus dem Schreiben saugen!"

Thomas Becker stand daneben, sein Gesicht eine Maske höflichen Interesses, während er sichtlich versuchte, die Situation zu kontrollieren.

"Herr Seidel, wir schätzen Ihr Engagement natürlich sehr, aber vielleicht könnten wir—"

"Nichts da!" Der Mann – offenbar Wolfgang Seidel – schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Bücher hüpften. "Die KI ist die Pest unserer Zeit! Sie zerstört die Authentizität, die Originalität, die menschliche Erfahrung!"

Felix beobachtete, wie Thomas' Gesichtsfarbe zwischen Blässe und Röte wechselte.

"Natürlich, natürlich", beschwichtigte Thomas. "Echte Literatur braucht menschliche Tiefe. Wie bei unserem Julian Mayer..."

Seidels Augen verengten sich. "Dieser Newcomer, von dem plötzlich alle reden? Ich habe noch nie von ihm gehört, und ich kenne jeden ernstzunehmenden Autor in diesem Land."

"Er ist sehr zurückgezogen", erklärte Thomas mit einem nervösen Lachen.

Felix trat vor. "Herr Seidel? Felix Neumann, Praktikant. Ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit."

Die Lüge ging ihm erstaunlich leicht über die Lippen. Er hatte noch nie von diesem Seidel gehört.

Der ältere Autor richtete sich zu voller Größe auf. "Wenigstens die Jugend hat noch Geschmack. Mein neues Manifest gegen die digitale Entmenschlichung der Literatur erscheint nächsten Monat."

Felix nickte begeistert. "Klingt faszinierend. Vielleicht könnte ich Ihre Kontaktdaten bekommen? Für unseren Verlagsverteiler natürlich."

Während Seidel ihm umständlich eine Visitenkarte überreichte, spürte Felix Thomas' Blick im Nacken. Als er aufsah, trafen sich ihre Augen. Felix lächelte wissend.

Die Farbe wich aus Thomas' Gesicht.

Nach weiteren zehn Minuten Tirade verabschiedete sich Seidel endlich, um "weitere Mitstreiter für die Authentische Feder zu rekrutieren".

Thomas packte Felix am Arm, sobald der letzte Besucher außer Hörweite war. "In mein Büro. Jetzt."

Im Hinterzimmer angekommen, schloss Thomas die Tür. "Was sollte das eben?"

Felix lehnte sich gegen den Tisch. "Interessante Dateien haben Sie da auf Ihrem Laptop, Herr Becker."

Thomas erstarrte. "Du hast—"

"KI-Prompts, Iterationen, Textgenerierungen." Felix zählte an den Fingern ab. "Alles fein säuberlich dokumentiert. Julian Mayer existiert nicht. Er ist eine Schöpfung aus Algorithmen."

"Das ist nicht—"

"Sparen Sie sich die Ausreden." Felix' Stimme blieb ruhig. "Ich finde es eigentlich genial. Die Literaturkritikerin, die KI-generierte Texte in den Himmel lobt, während sie gleichzeitig vermutlich gegen KI wettert. Die Ironie ist köstlich."

Thomas sank auf einen Stuhl. "Was willst du?"

"Eine Festanstellung. Mit anständigem Gehalt."

Thomas starrte ihn an. "Du erpresst mich?"

"Ich investiere in unsere gemeinsame Zukunft." Felix lächelte. "Ich kenne mich mit KI-Systemen aus. Ich könnte die Prozesse optimieren, die Entdeckungsgefahr minimieren."

Thomas schwieg lange. Dann nickte er langsam. "In Ordnung. Festanstellung. Ab nächstem Monat."

"Ab sofort", korrigierte Felix. "Und ich will kreative Mitsprache bei den nächsten Projekten."

"Einverstanden." Thomas streckte die Hand aus. "Willkommen im Team."

Felix ergriff sie. "Danke, Herr Becker. Sie werden es nicht bereuen."

Als Thomas kurz darauf den Stand verließ, um einen wichtigen Anruf entgegenzunehmen, zog Felix einen USB-Stick aus seiner Tasche. Mit geübten Bewegungen kopierte er sämtliche Dateien aus dem Julian-Mayer-Ordner. Der Stick verschwand wieder in seiner Hosentasche, als Thomas zurückkehrte.

"Alles in Ordnung?", fragte Thomas.

"Bestens", antwortete Felix und lächelte. "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit."

Das Veranstaltungsforum in Halle 4 füllte sich bis auf den letzten Platz. "Zukunft des Schreibens" – ein Thema, das offenbar den Nerv der Buchmesse traf. Über dem Podium hing ein Banner mit der Aufschrift "Mensch oder Maschine? Literatur am Scheideweg". Die Beleuchtung tauchte die vier leeren Stühle in dramatisches Licht.

Thomas Becker rutschte auf seinem Platz hinter der Bühne hin und her, während er versuchte, seine schweißnassen Hände unauffällig an der Hose abzuwischen. Neben ihm saß Helene Kraft, regungslos wie eine Statue, ihr Gesicht in die übliche Miene gelangweilter Überlegenheit gemeißelt.

"Nervös, Herr Becker?" Wolfgang Seidel beugte sich zu ihm herüber, sein Atem eine Mischung aus Pfefferminz und Selbstgefälligkeit.

"Keineswegs," log Thomas. "Nur gespannt auf den Diskurs."

Der Moderator, ein Mann mit Hornbrille und übertrieben artikulierter Sprechweise, trat ans Mikrofon: "Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir unsere Diskutanten zum brennendsten Thema der Gegenwartsliteratur!"

Das Publikum applaudierte pflichtbewusst, als die vier auf die Bühne traten. Thomas erspähte Felix in der dritten Reihe, neben ihm saß eine schlanke Frau mit kurzen dunklen Haaren und einer auffälligen roten Brille. Sie notierte etwas in ein Notizbuch – altmodisch, mit Stift und Papier.

"Wolfgang Seidel, sechsfacher Literaturpreisträger und Gründer der Initiative 'Authentische Feder'," kündigte der Moderator an. Seidel nickte huldvoll. "Helene Kraft, die Grande Dame der deutschen Literaturkritik." Helene hob kaum merklich eine Augenbraue. "Professor Hartmann vom Institut für Digitale Geisteswissenschaften." Der grauhaarige Mann nickte freundlich. "Und Thomas Becker, Verleger des vieldiskutierten Debütromans 'Echos der Stille'."

Thomas zwang sich zu einem selbstsicheren Lächeln, während er innerlich zusammensackte. Er war hier, weil Julian Mayers Roman Aufsehen erregt hatte – ein Roman, der von einer KI geschrieben worden war, umgeben von den lautstärksten KI-Gegnern der Branche.

Nach einigen einleitenden Fragen kam der Moderator zum Kern: "Herr Seidel, Sie haben sich vehement gegen den Einsatz von KI in der Literatur ausgesprochen. Warum?"

Seidel beugte sich vor, sein Gesicht rötete sich. "Weil es Betrug am Leser ist! Diese Maschinen können nur plagiieren, was wir Menschen erschaffen haben! Sie nehmen unsere Werke, zerhäckseln sie und setzen sie neu zusammen – ohne Seele, ohne Vision, ohne Lebenserfahrung!"

Zustimmendes Murmeln im Publikum.

"Literatur," fuhr Seidel fort, die Stimme zu einem leidenschaftlichen Crescendo anschwellend, "ist der letzte Zufluchtsort der menschlichen Seele in einer durchdigitalisierten Welt! Wer eine Maschine schreiben lässt, begeht Verrat an der Kunst!"

Thomas beobachtete, wie Felix im Publikum die Augen verdrehte und etwas zu seiner Nachbarin flüsterte.

"Frau Kraft, teilen Sie diese Ansicht?" fragte der Moderator.

"Grundsätzlich ja." Helenes Stimme schnitt durch den Raum wie ein Skalpell. "Ein literarisches Werk ist das Destillat menschlicher Erfahrung. Die Maschine hat keine Kindheit, keine Liebeskummer, keine schlaflosen Nächte. Sie kann die menschliche Seele nicht ergründen, weil sie keine besitzt."

Thomas spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Die Frau, die seinen KI-Roman in den Himmel gelobt hatte, erklärte gerade, warum ein solches Werk unmöglich gut sein könne.

"Professor Hartmann, als Experte für digitale Technologien – wie sehen Sie das?" lenkte der Moderator weiter.

"Differenzierter." Der Professor lächelte milde. "KI kann ein Werkzeug sein, wie einst der Federkiel oder die Schreibmaschine. Die Frage ist nicht, ob sie eingesetzt wird, sondern wie."

"Ein Federkiel schreibt nicht von selbst!" warf Seidel ein.

"Herr Becker," der Moderator wandte sich ihm zu, "als Verleger eines hochgelobten Debütromans – wie stehen Sie zu KI im Literaturprozess?"

Thomas schluckte. "Ich... ich denke, wir sollten technische Hilfsmittel nicht dämonisieren. KI kann ein Werkzeug sein, wie Professor Hartmann sagte. Ein Hilfsmittel für Recherche, vielleicht für Ideenfindung..." Er spürte Seidels brennenden Blick. "Aber natürlich steht am Ende immer der Mensch mit seiner kreativen Vision."

"Ausflüchte!" Seidel schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. "Entweder schreibt ein Mensch, oder eine Maschine. Es gibt kein Dazwischen!"

Die Diskussion wogte hin und her, wurde hitziger. Thomas verteidigte mechanisch seine Position, während sein Blick immer wieder zu Felix wanderte, der mittlerweile eifrig auf seinem Handy tippte.

Nach quälenden neunzig Minuten war die Veranstaltung endlich vorbei. Thomas flüchtete praktisch von der Bühne, nur um von einer Gruppe Journalisten abgefangen zu werden, die wissen wollten, ob Julian Mayer an einem neuen Roman arbeite.

"Er... experimentiert mit verschiedenen Ideen," improvisierte Thomas. "Ein Künstler wie er lässt sich nicht drängen."

Als er sich endlich losreißen konnte, war Felix verschwunden.

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Im Messecafé herrschte geschäftiges Treiben. Felix saß in einer abgelegenen Ecke, gegenüber der Frau mit der roten Brille, die er während der Diskussion kennengelernt hatte.

"Also," sagte Clara Winkler und rührte in ihrem Kaffee, "du arbeitest für diesen Becker, dessen Autor gerade alle verrückt macht?"

"Seit gestern fest angestellt." Felix grinste. "Und du bist Seidels rechte Hand? Der Mann, der gerade eine Kreuzzug gegen KI in der Literatur ausgerufen hat?"

Clara lehnte sich vor, ihre Stimme wurde leiser. "Wolfgang ist ein großartiger Schriftsteller. Aber er ist auch... sagen wir, ein Mann mit festen Überzeugungen."

"Und technisch im letzten Jahrhundert?" Felix zog eine Augenbraue hoch.

"Er hat sein letztes Manuskript mit Schreibmaschine getippt. Ich habe es dann 'abgetippt'." Sie machte Anführungszeichen in der Luft. "Mit ein paar... Verbesserungen."

Felix starrte sie an. "Du meinst...?"

Clara zog ihr Tablet hervor und öffnete eine App. "GPT-5 Pro mit literarischer Feinabstimmung. Ich füttere es mit Wolfgangs Rohtext, und es poliert Stil, Metaphern, Dialoge. Seit drei Jahren."

"Und er weiß nichts davon?"

"Er denkt, ich bin eine begnadete Lektorin." Clara lächelte schief. "Seine letzten beiden Bücher, für die er Preise bekommen hat? Mindestens dreißig Prozent KI-optimiert."

Felix pfiff leise durch die Zähne. "Der Mann, der gerade KI als 'Verrat an der Kunst' bezeichnet hat..."

"...verdankt seinen Späterfolg genau dieser Technologie." Clara trank einen Schluck Kaffee. "Die Ironie ist nicht verloren an mir."

"Warum erzählst du mir das?"

"Weil ich dein Gesicht gesehen habe, als dein Chef über 'Werkzeuge' geredet hat." Sie lehnte sich vor. "Der mysteriöse Julian Mayer existiert nicht, oder? Der Roman ist komplett KI-generiert."

Felix' Schweigen war Antwort genug.

"Dachte ich's mir." Clara lachte leise. "Und Helene Kraft hat ihn in den Himmel gelobt."

"Apropos Kraft..." Felix scrollte durch sein Handy und zeigte Clara einen Artikel. "Ich habe ein bisschen recherchiert. Ihr Assistent, Daniel Weber, hat vor seinem Literaturstudium Informatik studiert. Er hat eine kleine Firma gegründet, die sich auf 'automatisierte Textanalyse' spezialisiert hat."

"Und?"

"Und er hat ein System entwickelt, das literarische Texte nach bestimmten Kriterien bewertet. Rate mal, wer exklusiven Zugang hat?"

Claras Augen weiteten sich. "Helene Kraft?"

"Bingo. Die gefürchtetsten Verrisse der deutschen Literaturkritik werden seit mindestens zwei Jahren von einem Algorithmus vorformuliert. Sie fügt nur noch persönliche Spitzen hinzu."

Clara starrte ihn an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. "Das ist... das ist zu gut."

"Die drei lautesten KI-Gegner der Branche nutzen alle heimlich KI." Felix schüttelte den Kopf. "Was für eine Heuchelei."

"Die Frage ist," Clara wurde wieder ernst, "was machen wir mit diesem Wissen?"

Felix lehnte sich zurück, ein langsames Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ich habe da eine Idee. Aber dafür brauche ich deine Hilfe."

​

Der große Veranstaltungssaal der Messe Leipzig erstrahlte in festlichem Glanz. Kristallleuchter warfen ihr Licht auf die versammelte literarische Elite Deutschlands, die in Erwartung der Abschlusszeremonie Champagner nippte und Visitenkarten tauschte. Auf einer Leinwand prangte das Cover von "Echos der Stille", umrahmt von digitalen Lorbeerkränzen und dem Schriftzug "Literarische Entdeckung des Jahres".

Thomas Becker stand hinter der Bühne, sein Hemd bereits durchgeschwitzt, obwohl die Veranstaltung noch nicht begonnen hatte. Er nestelte an seiner Krawatte und murmelte seinen vorbereiteten Text vor sich hin.

"Ganz ruhig, Chef." Mara reichte ihm ein Glas Wasser. "In zwanzig Minuten ist alles vorbei, und wir können den Champagner öffnen, den ich im Hotel kaltgestellt habe."

"Wo ist Felix?" Thomas blickte sich nervös um. "Er sollte längst hier sein mit den Präsentationsfolien."

"Keine Ahnung. Seit gestern Nachmittag ist er wie vom Erdboden verschluckt." Mara zuckte mit den Schultern. "Aber mach dir keine Sorgen, die Technik ist eingerichtet. Du musst nur deine Dankesrede halten und den Preis entgegennehmen."

Ein Stagemanager mit Headset winkte Thomas zu. "Fünf Minuten, Herr Becker!"

Thomas schluckte. In fünf Minuten würde er auf dieser Bühne stehen und einen Preis für einen nicht existierenden Autor entgegennehmen. Für einen Roman, den eine Maschine geschrieben hatte. Der Gedanke ließ sein Herz rasen.

Der Saal verdunkelte sich, nur die Bühne blieb beleuchtet. Ein eleganter Moderator trat ans Mikrofon.

"Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen Sie zur feierlichen Abschlussgala der Leipziger Buchmesse 2025! Der Höhepunkt des heutigen Abends ist die Verleihung unseres Sonderpreises 'Literarische Entdeckung des Jahres'."

Applaus brandete auf. Thomas' Hände zitterten.

"Ein Roman hat in den letzten Tagen für Furore gesorgt. Ein Werk, das laut unserer Jury 'die menschliche Existenz in all ihrer Widersprüchlichkeit erfasst und in eine Sprache gießt, die gleichzeitig zeitlos und hochmodern ist'. Die Rede ist von 'Echos der Stille' des Debütautors Julian Mayer!"

Erneuter Applaus. Thomas spürte Maras Hand in seinem Rücken, die ihn sanft Richtung Bühne schob.

"Da der Autor bekanntermaßen zurückgezogen lebt und öffentliche Auftritte meidet, wird sein Verleger Thomas Becker den Preis stellvertretend entgegennehmen."

Mit wackeligen Knien betrat Thomas die Bühne, blendende Scheinwerfer im Gesicht. Er lächelte in die anonyme Dunkelheit des Publikums und schüttelte dem Moderator die Hand.

"Herr Becker, bevor wir Ihnen den Preis überreichen – können Sie uns etwas über die Zusammenarbeit mit diesem enigmatischen Ausnahmetalent erzählen?"

Thomas räusperte sich und beugte sich zum Mikrofon. "Julian Mayer ist ein—"

Die Saaltür flog auf. Ein Lichtstrahl schnitt durch die Dunkelheit. Alle Köpfe drehten sich um.

Felix Neumann marschierte den Mittelgang hinunter, flankiert von Wolfgang Seidel und Helene Kraft. Hinter ihnen folgte Clara Winkler mit einem Laptop unter dem Arm.

"Entschuldigen Sie die Unterbrechung," rief Felix, seine Stimme hallte durch den verdutzt schweigenden Saal. "Aber bevor hier ein Preis verliehen wird, sollte das Publikum wissen, wer – oder besser gesagt: was – ihn tatsächlich verdient hat."

Thomas erstarrte. Das war es. Sein Ende. Sein Karriere-Todesurteil, live aufgeführt vor der versammelten Branche.

Felix erreichte die Bühne und nahm Thomas ohne Umschweife das Mikrofon ab. "Meine Damen und Herren, ich bin Felix Neumann, seit kurzem Angestellter bei Becker & Partner. Und ich habe eine Enthüllung zu machen."

Clara eilte zur Technik und schloss ihren Laptop an. Die Leinwand hinter Thomas flackerte, dann erschienen Dateien, Screenshots, Ordnerstrukturen.

"'Julian Mayer' existiert nicht," verkündete Felix. "Der Roman 'Echos der Stille', den Sie alle so bewundert haben, wurde von einer Künstlichen Intelligenz geschrieben."

Ein kollektives Keuchen ging durch den Saal. Thomas sank auf den nächsten Stuhl, unfähig zu fliehen.

"Hier sehen Sie die Prompts, die Iterationen, die Überarbeitungen – alles generiert von verschiedenen KI-Modellen, zusammengestellt und feingeschliffen von Herrn Becker." Felix deutete auf die Leinwand. "Der literarische Messias, den Sie alle feiern, besteht aus Algorithmen."

Aufgeregtes Gemurmel schwoll an, vereinzelt waren empörte Ausrufe zu hören. Eine Journalistin in der ersten Reihe zückte bereits ihr Aufnahmegerät.

"Thomas Becker hat Sie alle getäuscht," fuhr Felix fort. "Er hat einen nicht-existierenden Autor erfunden und einen maschinell erstellten Text als menschliches Meisterwerk ausgegeben."

Der Moderator fand seine Fassung wieder. "Herr Becker, stimmen diese schwerwiegenden Vorwürfe?"

Thomas starrte ins Publikum, sah die schockierten, empörten, triumphierenden Gesichter. Es gab kein Entkommen mehr. Er erhob sich langsam und trat ans Mikrofon.

"Ja." Das Wort fiel wie ein Stein in die Stille. "Es stimmt. 'Echos der Stille' wurde von einer KI geschrieben. Julian Mayer existiert nicht."

Der Tumult brach los. Journalisten sprangen auf, Kameras blitzten, empörte Stimmen überschlugen sich.

Thomas hob die Hand. Überraschenderweise verstummte der Lärm. "Aber bevor Sie mich verurteilen, denken Sie an eines: Ihr alle habt es geliebt, bevor ihr wusstet, dass es von einer KI stammt! Helene Kraft nannte es 'die Entdeckung des Jahres'. Die Jury dieses Preises fand, es erfasse 'die menschliche Existenz in all ihrer Widersprüchlichkeit'. Was sagt das über eure Fähigkeit aus, menschliche von maschineller Kreativität zu unterscheiden?"

Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus.

"Doch das ist noch nicht alles," meldete sich Felix wieder zu Wort. "Es gibt weitere Enthüllungen zu machen."

Er nickte Clara zu, die eine neue Präsentation startete. "Wolfgang Seidel, der vehementeste Gegner von KI in der Literatur, lässt seine Manuskripte seit Jahren von seiner Assistentin Clara mit KI-Tools optimieren."

Seidel sprang auf. "Das ist eine infame Lüge!"

Clara trat vor. "Nein, Wolfgang, es ist die Wahrheit. Deine letzten drei Romane – alle mit KI überarbeitet. Die Metaphern, die Dialoge, die atmosphärischen Beschreibungen – alles verfeinert durch Algorithmen."

Seidels Gesicht lief puterrot an. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, sank schließlich auf seinen Stuhl zurück.

"Und Helene Kraft," fuhr Felix fort, während auf der Leinwand neue Beweise erschienen, "die Grande Dame der deutschen Literaturkritik, lässt ihre gefürchteten Verrisse seit Jahren von einem Algorithmus vorformulieren, den ihr Assistent entwickelt hat."

Helene Kraft blieb äußerlich ruhig, aber ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. "Diese Behauptung ist absurd. Ich formuliere jedes Wort selbst."

"Wirklich?" Felix projizierte eine Gegenüberstellung von Krafts Kritiken und den KI-generierten Vorlagen. Die Ähnlichkeit war frappierend. "Der Algorithmus analysiert Texte nach Ihren Kriterien und liefert eine Rohfassung. Sie fügen nur noch persönliche Spitzen hinzu."

Im Saal brach Chaos aus. Verleger beschuldigten einander, Autoren protestierten, Journalisten versuchten, alles gleichzeitig zu dokumentieren.

Eine junge Autorin stand auf. "Ich benutze KI für meine Recherche!"

"Ich lasse meine Dialoge von ChatGPT auf Natürlichkeit prüfen," gestand ein preisgekrönter Romanautor.

"Mein Lektor verwendet KI-Tools zur Textanalyse," rief ein Dritter.

Innerhalb von Minuten verwandelte sich die Veranstaltung in eine bizarre Beichtstunde, in der immer mehr Branchenmitglieder zugaben, heimlich KI-Tools zu nutzen, während sie öffentlich dagegen wetterten.

Thomas beobachtete das Spektakel mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination. Neben ihm erschien Mara.

"Das ist der größte Clusterfuck der Verlagsgeschichte," flüsterte sie. "Was machen wir jetzt?"

Bevor Thomas antworten konnte, erhob sich eine elegante ältere Dame in der dritten Reihe. Die Verlagschefin eines der renommiertesten Literaturhäuser Deutschlands.

"Meine Damen und Herren," ihre Stimme schnitt durch den Tumult, "ich schlage vor, wir betrachten das Ganze aus einer anderen Perspektive. Herr Becker hat uns nicht betrogen – er hat ein brillantes Experiment durchgeführt."

Alle Augen richteten sich auf sie.

"'Echos der Stille' ist kein Betrug, sondern ein konzeptionelles Kunstwerk, das die Heuchelei unserer Branche entlarvt hat. Es hat bewiesen, dass wir nicht in der Lage sind, maschinelle von menschlicher Kreativität zu unterscheiden, während wir gleichzeitig so tun, als wären wir die Hüter der authentischen Kunst."

Zustimmendes Murmeln erhob sich.

"Ich schlage vor, wir verleihen den Preis trotzdem – nicht an den fiktiven Julian Mayer, sondern an Thomas Becker für sein mutiges literarisches Experiment, das uns allen einen Spiegel vorgehalten hat."

Der Saal explodierte in einer Mischung aus Applaus, Protest und aufgeregten Diskussionen. Thomas stand wie betäubt auf der Bühne, unfähig zu begreifen, dass sein erwartetes Karriereende sich in einen unerwarteten Triumph verwandelte.

Felix trat neben ihn. "Plot-Twist, was?"

"Du hast mich verraten," flüsterte Thomas.

"Ich habe dich gerettet," korrigierte Felix. "Früher oder später wäre es sowieso herausgekommen. So bist du nicht der Betrüger, sondern der visionäre Konzeptkünstler."

Thomas starrte ihn an, dann brach er in ungläubiges Lachen aus. "Du bist ein durchtriebenes Genie."

"Ich weiß," grinste Felix. "Übrigens, ich habe bereits drei Interviewanfragen für dich – als Pionier der KI-Literatur."

Während um sie herum die Diskussionen immer hitziger wurden, stand Thomas Becker auf der Bühne und beobachtete, wie sein größter Albtraum sich in seinen größten Triumph verwandelte. Die Literaturwelt lag tatsächlich zu seinen Füßen – allerdings aus einem völlig anderen Grund, als er je geplant hatte.

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